PROF. DR. METIN TOLAN

Und nicht-linear bedeutet in der Physik immer, dass es kompliziert wird.

Das Interview führte Thomas Friedrich Koch, Leiter der Landeskulturredaktion des SWR 2

 

Metin Tolan ist Professor für Experimentelle Physik und Prorektor an der Technischen Universität Dortmund (bis 2020). Seit 2021 ist er Präsident der Universität Göttingen. In seinen unkonventionellen Publikationen wie „Geschüttelt, nicht gerührt: James Bond und die Physik“ erklärt er physikalische Phänomene auf äußerst anschauliche Weise.

Interview vom 02.12.2020

Thomas F. Koch: Sie halten im November in Dortmund einen Vortrag mit dem Titel „Non-lineare Wissenschaft mit James Bond“. Was kann man sich darunter vorstellen?

Prof. Dr. Metin Tolan: Unter non-linear kann man sich vieles vorstellen; ich interpretiere den Begriff aber wörtlich, also nicht-linear. Und nicht-linear bedeutet in der Physik immer, dass es kompliziert wird.

Koch: Was macht Nicht-Linearität so kompliziert?

Tolan: Erst einmal muss man erklären, was linear heißt. Nehmen wir James Bonds Uhr als Beispiel, die er in „Leben und Sterben lassen“ getragen hat. Das Szenario ist folgendes: Bond zieht mit einem Magnet in seiner Uhr einen Löffel an, der in einem Meter Entfernung liegt. Ob das rein physikalisch möglich ist, ist erst einmal nebensächlich. Nehmen wir jetzt an, Bonds Uhr wäre 50 Mal größer und könnte so einen Magnet fassen, wie er auf einem Schrottplatz benutzt wird, dann müsste man nach linearen Maßstäben sagen, dass die Anziehungskraft auch 50 Mal größer ist. Ist sie aber nicht.

Koch: Sondern?

Tolan: Genau da liegt das Problem. Die Anziehungskraft verändert sich nicht-linear. Sie wird also nicht 50 Mal, sondern 504 Mal größer – das ist über sechs Millionen Mal größer. Das ist nicht-linear.

Koch: Bei einem so großen Magneten könnte Bond also den Löffel aus einem Meter anziehen?

Tolan: Natürlich, damit würde das leicht gehen, wenn auch das Gewicht ein wenig an seinem Arm zerren würde. (lacht) Mit seiner kleinen Uhr könnte er den Löffel aber sicherlich aus einem Zentimeter Entfernung anziehen. Wäre der Löffel aber nur zehn Mal so weit entfernt, so ist die Anziehungskraft zehn Millionen Mal schwächer. In zehn Zentimeter Entfernung könnte James Bond also keinen Löffel mehr anziehen, sondern ungefähr das Gewicht eines Zuckerkorns. Das ist in der Physik nicht-linear.

Koch: Gibt es ein anderes Beispiel, das Sie in Ihren Bond-Vorträgen benutzen, bei dem es sich um nicht-lineare Abläufe handelt?

Tolan: Wenn James Bond einem Flugzeug hinterher springt und versucht dort in der Luft einzusteigen, dann ist auch das nicht-linear, weil der Luftwiderstand nicht-linear mit der Geschwindigkeit steigt. Bei der doppelten Geschwindigkeit hat man nicht den doppelten Luftwiderstand, sondern den vierfachen. Und wenn man das ausrechnen will, ergeben sich nicht-lineare gekoppelte Differenzialgleichungen. Und wenn man das in der Physik hat, dann ist alles verloren. (lacht) Alles verloren heißt in diesem Fall: Da müssen sie einen Computer anwerfen.

Koch: Der menschliche Geist ist also an einem Punkt von Nicht-Linearität überfordert?

Tolan: Das würde ich so nicht sagen. Der menschliche Geist ist sogar in der Lage zu beweisen, dass man gar keine Lösung finden kann. Er kann beweisen, dass es keine mathematische Funktion gibt, mit der man die Lösung darstellen kann. Man muss es mit dem Computer machen; das ist ja auch schon eine Geistesleistung.

Koch: James Bond ist also auf ganzer Linie nicht-linear?

Tolan: Zumindest an vielen Stellen in den Filmen kommt nicht-lineare Physik ins Spiel. Die Uhr und das Flugzeug sind nur zwei Beispiel, die ich gerne aufzeige. Wenn James Bond auf dem Motorrad das Flugzeug einholen will, könnte man denken: Er will das Flugzeug einholen, wenn er also irgendwie doppelt so schnell auf dem Motorrad fahren würde, dann müsste er das Flugzeug doppelt so schnell einholen. Das ist aber nicht so: wenn das Flugzeug von der Klippe fällt und James Bond doppelt so schnell wäre, wäre er zu schnell und würde über das Flugzeug springen. Und auch da sieht man wieder die Nicht-Linearität –  man kann nicht argumentieren, dass die doppelte Geschwindigkeit gleich einer doppelten Chance ist, das Flugzeug einzuholen. In diesem Fall bedeutet die doppelte Geschwindigkeit nämlich, dass man plötzlich gar keine Chance mehr hat.

Koch: Also muss James Bond nicht nur ein guter Doppel-Null-Agent sein, um das Flugzeug tatsächlich einzuholen, sondern auch ein guter Physiker?

Tolan: Dem Normalbürger würde ich zumindest dringend von diesem Stunt abraten. James Bond sollte schnell entscheiden und rechnen können, denn er muss die Geschwindigkeit des Flugzeugs, welches er mit dem Motorrad verfolgt, auf zwei, drei Kilometer pro Stunde genau eingeschätzt haben, damit er eine Chance hat, das Flugzeug einzuholen. Das genau einzuschätzen ist sicherlich recht schwierig, aber für einen britischen Geheimagenten gehört das vielleicht mit zur Aufnahmeprüfung. (lacht)  Außerdem müsste Bond sehr windschnittig sein, ca. 14 bis 20 Mal windschnittiger als ein fallendes Flugzeug. Das ist sehr schwierig, wenn man bedenkt, dass ein Flugzeug, selbst wenn es fällt, natürlich schon sehr windschnittig ist. Aber so ist es immer in der Physik, wenn es um Nicht-Linearität geht: es wird sehr komplex.

Koch: Wie kommt man als Physiker eigentlich auf die Idee, komplexe Probleme in James Bond-Filmen lösen zu wollen?

Tolan: Das ist ganz einfach, geradezu trivial. Ich bin ein James Bond-Fan. Und ich bin ein Physiker und damit Fan meines Faches. Wenn man so etwas, neben der eigentlichen Lehre und Forschung, machen möchte, muss man es erstmal selbst interessant finden – das ist das Allerwichtigste. Und wenn es dann noch andere interessant finden, dann freut mich das natürlich.

Koch: Sie haben sich also die James Bond-Filme mal angeschaut und irgendwann gedacht: Ist das überhaupt möglich?

Tolan: So kann man das sagen. Ich bin schon immer James Bond-Fan gewesen. Das man das auch mal berechnen und hinterfragen kann, ob das funktioniert oder nicht, ist mir das erste Mal bei „Golden Eye“ aufgefallen, bei besagtem Sprung hinter einem Flugzeug her.

Koch: Mit Ihren Vorträgen zu James Bond sind Sie schon vielfach aufgetreten, wie kam es zu der Einladung zum Symposium „Kunst fördert Wirtschaft“, das Ende November in Dortmund von der IDfactory der TU Dortmund veranstaltet wird?

Tolan: Ich wurde einfach gefragt. Und da ich in der IDfactory schon zu einem früheren Zeitpunkt ein Grußwort gegeben habe, in dem ich über die Nicht-Linearität in der Physik sprach, habe ich natürlich gerne zugesagt.

Koch: Nach „Kunst fördert Wirtschaft“ hört sich das aber erstmal nicht an, oder?

Tolan: Ich bin ja auch kein Künstler. Aber es gibt viele Parallelen der Nicht-Linearität in der Kunst und in der Physik. Auch ein Künstler muss oft nicht-linear arbeiten, um ein Meisterwerk zu schaffen. Insofern erweitert mein Beitrag den Horizont des Symposiums um die physikalische Seite.

Koch: Also fördert Physik auch Wirtschaft?

Tolan: Natürlich. Ohne Physiker würde es die meisten Erfindungen nicht geben. Einige meiner James Bond-Vorträge habe ich auch schon vor Unternehmen gehalten, die dadurch ihre Veranstaltungen erweitern konnten. Das ist aber eher eine indirekte Auswirkung auf die Wirtschaft.

Koch: Spiegel Online schrieb über Ihr James Bond-Buch: „So viel unterhaltsame Wissenschaft kommt selten vor.“ Sehen Sie Ihr Buch eigentlich als „wissenschaftlich“ an?

Tolan: Wissenschaft ist natürlich ein hartes Wort, denn wenn man Wissenschaft sagt, meint man natürlich eine neue Erkenntnis. Wenn man James Bond mit physikalischen Methoden untersucht, dann benutzt man die Physik, die wir seit 200, 300 Jahren kennen und wendet sie auf das „Problem“ James Bond an. Ein Physiker würde das nicht als Wissenschaft bezeichnen. Eher als interessante Aufgabe, die man mit Hilfe der Physik lösen kann. Und ich bezeichne das einfach als mein Hobby.

Videomitschnitt des Vortrags von Metin Tolan im Rahmen des Symposiums Kunst fördert Wirtschaft vom 22.11.2010:

Non-lineares Denken in der Physik

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“Non-lineares Denken in der Physik”

Der experimentelle Denker und Physiker Prof. Dr. Metin Tolan, bekannt durch unkonventionelle Publikationen wie „Geschüttelt, nicht gerührt: James Bond und die Physik“, beleuchtet die non-linearen Methoden der Wissenschaft.

Herr Dr. Preißing, die politische Umwälzung in den Maghreb-Staaten wurzelt auch in der Kommunikation via sozialer Netzwerke. Stichwort Facebook. Sie selbst gelten als Verfechter dezentraler Denkstrukturen. Sind Sie dennoch überrascht von der neuen Macht der virtuellen Netze?

Dr. Werner Preißing: Überrascht hat mich die Geschwindigkeit der technologischen Entwicklung. Begonnen hat das Internet als ernstzunehmendes Medium so um 1995. Also vor nicht mal 16 Jahren. Und wenn ich nun bedenke, dass in Tunesien, Ägypten usw. diese Technologie Treiber oder gar elementarer Kommunikationsbaustein des Widerstands und der Revolution gegen die Machthaber ist, so bin ich tatsächlich überrascht.

Erwartet haben Sie aber, dass Vernetzung die Voraussetzung für den Wandel ist?

Preißing: Grundsätzlich sind Teamarbeit und Vernetzung keine neuen gesellschaftlichen Entwicklungen. Sie sind seit Jahren in der Diskussion. Anwendung finden sie in vielen Bereichen des täglichen Lebens, vor allem in Betrieben. Die Vorteile einer vernetzten Welt sind überall ersichtlich: Neulich sprach ich mit einem Architekten, der via Social-Netzwerk einen Expertenrat für eine knifflige Bau- und eine Steuerrechtssache suchte. Innerhalb von einem halben Tag lieferte die Community ihm wertvolle Tipps wie er sein Problem angehen könne. Früher hätte allein die Korrespondenz Tage gedauert. Vom Aufbau eines nutzbaren Netzwerkes ganz zu schweigen. Aber natürlich gibt es auch Nachteile. Als ich 1975 an meiner Dissertation arbeitete gab es rund 220 Titel, die sich mit meinem Thema beschäftigten. Wer heute promoviert und Quellen via Google und Co. sucht, erhält in Millisekunden Unmengen an Informationen. Die ja auch, wie die jüngste Vergangenheit im Fall des zurückgetretenen Verteidigungsministers zeigen, zum Missbrauch einladen.

Wie wirkt sich die Vernetzung auf das Denken der Nutzer aus?

Preißing: Nach meiner Beobachtung ist derzeit die Hardware, also die Internettechnologie, der Software, sprich dem Denken der Anwender, voraus. Vernetzung und die dadurch entstehende Geschwindigkeit und Transparenz erschrecken viele Menschen. Wie wir in Nordafrika sehen, unterschätzt die Politik die Technik ebenfalls. Es wird Zeit für ein Software-Update und dazu gehört das non-lineare Denken.

Die nächste Stufe wäre dann das Denken mit einem Gehirn. Darunter verstehe ich nicht etwa Meetings, die Einzelne oft zur Profilierungsplattform missbrauchen. Es geht vielmehr um das hierarchiefreie Nachdenken und den Austausch zu einem Thema, um schneller und effizienter zu einer Lösung zu kommen.

Auch in der westlichen Wirtschaft verändert das Internet die Kommunikation und das Denken grundlegend. Hinzu kommen Erkenntnisse aus der Hirnforschung. Welche Auswirkungen sehen Sie?

Preißing: Wirtschaftssysteme können nicht isoliert betrachtet werden, sie sind vielmehr Teil der Gesellschaft. Die in den vergangenen Jahren entstandene Wissensgesellschaft ist jedoch noch keine Erkenntnisgesellschaft. Denn dazu gehören Erfahrungen und die fehlen uns im Umgang mit dem vielen, sich ständig verdoppelnden Wissen. Die Hirnforschung bestätigt im Übrigen meine These der Vernetzung. Sprach man früher von Zentren innerhalb des Gehirns, die auf einen Reiz reagieren, so wissen Forscher heute, dass ganze Areale angesprochen werden. Das Gehirn arbeitet neuronal und non-linear vernetzt.

Was wird uns in den kommenden Jahren hinsichtlich der Vernetzung noch erwarten?

Preißing: In der Politik sind heute schon die Konsequenzen spürbar. Die Zeit der geheimen Entscheidungen und der Basta-Politik sind vorbei. Enthüllungsplattformen wie Wikileaks tragen dazu bei. Oder nehmen Sie den Protest der Bürger gegen das Bahnprojekt Stuttgart 21. Gleichgültig, ob man die direkte Demokratie begrüßt oder nicht, in Zukunft wird das Volk mehr Druck ausüben und mitbestimmen. In der Wissenschaft ist der Erkenntnisgewinn durch Vernetzung ebenfalls sichtbar. Zumindest, wenn sprachliche und räumliche Diskrepanzen überbrückt werden. Beeindruckend fand ich etwa einen Bericht im WDR (Sendung vom 29.3.2011) über die Entwicklung einer Beinprothese. Eine interdisziplinäre Forschungsgruppe um den Physiker Andre Seyfarth, an der Universität Jena, die sich mit diesem Thema befasst, besteht aus Sportwissenschaftlern, Ingenieuren, Biologen und Informatikern. Wo früher linear, also einer nach dem anderen an so einem Hilfsmittel gearbeitet hat, vernetzen sich heute mehrere Fachdisziplinen, um schneller ein besseres Produkt zu entwickeln.

Sie arbeiten als Unternehmer-Berater viel mit Chefs und Firmenlenkern zusammen. Welche Konsequenzen hat non-lineares Denken für die Macher der Marktwirtschaft?

Preißing: In erster Linie ein Umdenken in der Personalpolitik. Die Manager müssen lernen, das non-lineare Denken zu fördern. Es geht darum, versteckte Potentiale bei Mitarbeitern freizusetzen. Doch das geht nicht per Anordnung von oben. Es geht stattdessen über eine Kultur der Freiheit des Einzelnen. Chefs sind da als Moderatoren gefragt, sicher auch als Macher, die Prozesse umsetzen, aber das geht künftig nur noch mit den Mitarbeitern. Wer sich nicht um sein Personal kümmert, verliert schnell den Anschluss. Vor allem große Firmen haben das längst erkannt. Der demografische Wandel tut sein übriges.

Sie referierten vor kurzem beim Dortmunder Symposium „Kunst fördert Wirtschaft“. Auch da ging es um neue Denkweisen. Wie können Prozesse aus der Kunst, die von vielen Leuten als Eigenwelt betrachtet wird, in die Wirtschaft einfließen?

Preißing: Künstlerisches Arbeiten ist grenzübergreifend. Im Denken und im Handeln. Ich erinnere mich an den Berliner Performance-Künstler Wolfgang Flatz, der eine tote Kuh aus einem Hubschrauber geworfen hat. Oder der eingemauerte Mercedes Benz in einer Betonwand. Das Statussymbol steckte fest. Solche Aktionen erfordern Mut. Sie brechen mit Klischees. Es muss allerdings nicht immer so brachial sein. Um Grenzen zu hinterfragen und zu übertreten braucht es eine sehr feine Wahrnehmung seitens der Künstler. Ein Unternehmer, der seine Firma für die Zukunft rüsten will, muss ähnlich grenzüberschreitend denken, handeln und ein Gespür entwickeln, will er neue Märkte, Technologien oder Produkte finden.

Ihre Kommunikationsmethode Visual Thinking wird in der Ausbildung an Hochschulen und neuerdings sogar an Schulen eingesetzt. Sie sagen, es beschleunigt Denk- und schließlich Arbeitsprozesse. Wieso?

Preißing: Die Fähigkeiten zum „problemlösenden Denken“ sollen in der Pisa Studie 2012 neben der Fähigkeiten zum analytisch-logischen Denken besondere Beachtung finden. Aus Erfahrung weiß ich, dass die Visualisierung von Problemen in manchen Fällen bereits Ansätze zu deren Lösung beinhaltet. In der Tat ist es daher so, dass die Bildsprache Visual Thinking eine Möglichkeit ist, um das non-lineare, problemlösende Denken fördert. Wobei mir der Begriff non-linear nicht gefällt. Es wird Zeit, einen Begriff zu finden, der das Quer- oder vernetzte Denken treffender beschreibt. Das Ziel ist, Visual Thinking als Unterstützung des grenzüberschreitenden Denkens in Schulen zu verbreiten und es angehenden Lehrern als Handwerkszeug anzubieten. Derzeit verhandeln wir mit Stiftungen und Hochschulen über den Einsatz von Visual Thinking. Mehr kann und will ich dazu im Moment nicht sagen.

Ihre These ist: In einer immer komplexeren und verknüpften Welt hilft die Vereinfachung beim Begreifen von Mechanismen und Strukturen. Können Sie Beispiele liefern?

Preißing: Sie sagen Vereinfachung, ich nenne es Unschärfe. Beim Dortmunder Symposium sprachen Künstler von verkratzten Brillen, die man aufsetzen müsse, um unscharf zu sehen. So könne der Blick für das Ganze geschärft werden. Managern rate ich in der Beratung das richtige Maß an Ungenauigkeit zu finden, um etwa Prognosen für die Zukunft geben zu können. Fragen Sie einen Steuerberater nach der Raummiete für das Objekt XY und Sie bekommen den Wert bis auf die zweite Zahl nach dem Komma. Für Prognosen ist die jedoch vollkommen irrelevant und sogar störend. Da wird bei 47.354,98 auf 50.000 Euro aufgerundet. Fertig. Sie sehen schon am Zahlenbeispiel, dass Ungenauigkeit Schärfe bringt.

Zum Schluss eine Frage zum kollektiven Gedächtnis: Kurzfristig konnte man meinen, durch die Finanz- und Bankenkrise habe in der Wirtschaft ein innehalten und sogar ein Umdenken hinsichtlich Werte und Nachhaltigkeit eingesetzt. Zwei Jahre später scheint wenig davon übrig zu sein. Können Sie das erklären?

Preißing: Erklären kann man dieses Phänomen vielleicht mit den Zyklen von Nicolai Kondratjew. Der russische Wirtschaftswissenschaftler spricht von Innovationsschüben, die 45 bis 50 Jahre andauern. Angetrieben werden Entwicklungen dabei von einzelnen Highlights. Nehmen wir die Kernenergie als Beispiel. Durch die Katastrophen von Tschernobyl und jetzt Fukushima entwickelt sich in der Gesellschaft über Jahre hinweg eine Antibewegung. Zumindest in Deutschland. In Frankreich denken die Menschen anders über diese Technologie. Ähnlich wird es mit dem Finanzwesen sein. Es müssen weitere Krisen folgen, damit sich das Wertesystem ändert.

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