Albert Schmitt

Die Sekunde ist das widerspruchsstärkste Intervall in der Musik

Das Interview führte Thomas Friedrich Koch, Leiter der Landeskulturredaktion des SWR 2

Albert Schmitt ist seit 1999 als Managing Director der deutschen Kammerphilharmonie Bremen (zusammen mit Jean-Claude Leclère) maßgeblich für die strategische Neuausrichtung und den Umbau des Orchesters zum Unternehmen verantwortlich und führte es in die Weltspitze. Das innovative Konzept wurde seit 2006 mit diversen Preisen ausgezeichnet, u.a mit dem ›Zukunftsaward‹ für die ›beste soziale Innovation‹, Sonderpreis des ›Deutschen Gründerpreises‹, Sonderpreis „INVENTIO 2008“.

 

Interview vom 02.12.2020

“Das 5-Sekunden-Modell”

Thomas F. Koch: Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen. Sie haben angefangen in Frankfurt als basisdemokratisches Studentenorchester mit Rotationsprinzip. Das bedeutete, jeder durfte mal Stimmführer sein. Inzwischen sind Sie nun eine GmbH und geben auch Seminare für Manager aus der Wirtschaft. Haben Sie die früheren Ideen verraten?

Albert Schmitt: Nein, wir haben einen langen, langen Entwicklungsweg hinter uns. Genauso wie die Grünen festgestellt haben, dass doch nicht jeder x-beliebige Basisdemokrat Außenminister der Bundesrepublik Deutschland werden kann, so haben auch wir festgestellt, dass es eben für bestimmte Aufgaben mehr und für bestimmte Aufgaben weniger Geeignete gibt, und dass es auch sinnvoll ist, die Ursprungsüberlegungen immer wieder auf ihre Gültigkeit hin zu überprüfen.

Koch: Die Ursprungsüberlegung. Ist davon noch etwas geblieben?

Albert Schmitt: Oh, ja, jede Menge. Der Geist, der dieses Orchester nach wie vor durchweht, ist das Streben nach höchstmöglicher Authentizität. Darum geht es eigentlich, dass man versucht, Musik der unterschiedlichsten Epochen immer der jeweiligen Epoche so gerecht wie irgend möglich zu spielen. Dafür muss man zum Teil unkonventionelle Wege gehen. Dafür muss man auch tiefer als andere graben. Man fängt zum Teil erst da an zu arbeiten, wo andere schon aufgehört haben. Diese Haltung ist nach wie vor prägend.

Koch: Ihr Orchester bekommt ja relativ wenig Fördermittel. 60 % müssen Sie einspielen. Wie wirkt sich das inzwischen auf das Repertoire aus – nur noch die kleine Nachtmusik?

Albert Schmitt: Überhaupt nicht, ganz im Gegenteil. Wir haben z.B. kürzlich, es ist ca. zwei oder drei Jahre her, eine große Stadtteil-Oper in Bremen-Osterholz-Tenever gemacht, und zwar mit zeitgenössischer Musik. Eine Faust-Sprech-Oper, Faust 2 von Karsten Gundermann und das ist nur ein Beispiel. Wir machen nach wie vor die Musik, die uns fasziniert, und das hat mit der Art der Förderung relativ wenig zu tun.

Koch: Aber 60 % müssen Sie ja verdienen und gerade neue Musik ist heutzutage nicht so einfach. Wie vermitteln Sie das denn, dass Sie an die Zuhörer kommen?

Albert Schmitt: Indem wir sehr, sehr früh auch Kulturvermittlung als zentrales Thema für uns entdeckt haben, genauer gesagt, seit es Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen gibt. Das ist seit den 80er Jahren der Fall, seit der Gründung. Seitdem sind die Musiker auch erpicht darauf, Menschen verständlich zu machen, was sie bewegt und das ist besonders wichtig im Fall der zeitgenössischen Musik. Da unternimmt man eine ganze Menge von Vermittlungsaktivitäten, Workshops vor den Konzerten, Konzerteinführungen, besondere Konzertformen, und dazu kommt natürlich auch das, was alle Kultureinrichtungen betrifft: Man braucht eine gesunde Mischkalkulation. Man muss die Dinge, die sich rechnen, in dem Maße machen, das es einem erlaubt, die Dinge, die sich nicht rechnen, mit zu subventionieren.

Koch: Die Musiker der Kammerphilharmonie Bremen sind inzwischen umjubelte Gäste auf der ganzen Welt, u.a. bei den Salzburger Festspielen. Abgesehen von diesem Geist, den Sie eben noch beschworen haben, wie haben Sie diese künstlerische Qualität erreicht?

Albert Schmitt: Das ist immer ganz einfach am Ende des Tages. Es ist harte Arbeit. Es ist die Bereitschaft, sich um die letzten 10 % zu bemühen. Um 90 % zu kriegen, muss ich 90 % investieren. Wenn ich die letzten 10 % kriegen will, muss ich noch einmal 90 % investieren. Das ist das, was die meisten eben scheuen.

Koch: Ihren Proberaum haben Sie vor einiger Zeit ganz bewusst in einer Schule in einem sozialen Brennpunkt in Bremen gewählt. Warum haben Sie das gemacht?

Albert Schmitt: Um das zu verstehen, muss man wissen, dass wir uns sehr gezielt mit Widersprüchen auseinandersetzen. Wir haben vor einigen Jahren auch ein Managementtraining auf den Weg gebracht, das Fünf-Sekunden-Modell. Ein Modell, in dem wir auf den Punkt gebracht haben, was unsere Philosophie ist. Wir haben das damals mit Prof. Scholz von der Universität in Saarbrücken herausgearbeitet und haben im Laufe dieses Arbeitsprozesses festgestellt, dass wir sehr viel mit Widersprüchen zu tun haben, und das schien mir bis dahin immer ein Problem zu sein. Durch die Arbeit mit Prof. Scholz bin ich dann irgendwie darauf gekommen, dass man das auch als eigentliches Asset des Unternehmens sehen kann, als eigentlichen Unternehmenswert, diese Bereitschaft und die Fähigkeit, mit Widersprüchen umzugehen. Und wir haben mit Scholz zusammen festgestellt, dass das eben ein Kriterium ist, das Hochleistungsteams generell ausmacht: eben genau diese Fähigkeit und die Bereitschaft, Widersprüchlichkeit anzunehmen. Ab dem Moment, in dem wir das für uns verstanden und akzeptiert hatten, dass diese Widersprüchlichkeit systemimmanent und auch wesentlich ist für die Qualitätserreichung, haben wir auch Managementprozesse immer sehr gezielt darauf hin angeschaut. Das tun wir auch heute noch, nachschauen, ob diese Widerspruchsspannung darinsteht, darin steckt. Wenn man das tut, dann kommt man auf ganz andere Lösungen, als wenn man das nicht tut. Und so war dann, als wir unser Probendomizil suchten, das Angebot nach Osterholz-Tenever zu gehen, erst einmal erschreckend. Es ist ein sozial benachteiligter Stadtteil an der Peripherie der Stadt Bremen und in der direkten Nachbarschaft zum reichsten Stadtteil der Stadt, also eine unglaublich brisante und spannungsreiche Situation. Aber nachdem man so den ersten Unglauben überwunden hatte, setzte eben genau das ein, dass man sagte „ja Moment mal, Spannungsreichtum, das ist doch genau das, was sich in unserer Philosophie eigentlich immer als nutzbringend erwiesen hat, und wir haben begonnen, Projekte zu entwickeln, die die Potentiale, die eben in dieser Widersprüchlichkeit, in dieser Spannung liegen, entfalten.

Nämlich welche?

Albert Schmitt: Auch da muss ich ein bisschen ausholen. In der Armutsforschung weiß man, dass das Problem nicht die Armut selber ist, sondern das tiefer liegende Problem ist die Perspektivlosigkeit. Erst in dem Moment, wo sich der sozial Benachteiligte aufgibt, hat er wirklich verloren. Bis dahin ist er benachteiligt. Und wenn er erkennt, dass er durch eigene Aktivität an seiner Situation etwas ändern kann, dann hat er auch gute Chancen, diese Situation zu verändern. Wir haben festgestellt, dass wir ideal dafür geeignet sind, diese Haltung, dieses „Du hast immer eine Chance, Du hast immer eine Wahl“, das ist unser Motto auch da draußen. „Du hast immer eine Wahl“. Um diese Haltung zu vermitteln, sind wir deswegen so geeignet, weil unsere Musiker ihr Orchesterunternehmen allen Unkenrufen zum Trotz bis an die Weltspitze geführt haben – einfach aus der tiefen Überzeugung heraus, das schaffen zu können und entgegen allem, was einem täglich gespiegelt und gesagt worden ist, dem inneren Antrieb folgen zu müssen. Und das ist etwas, was wir jetzt in den Stadtteil hineinstrahlen möchten. Wir sind seit 2007 dort und haben erste sehr bemerkenswerte Erfolge dort erreicht. Wir haben CD‘s dort gespielt, die Echo Klassik gewonnen haben, zwei Stück sogar. Wir haben große Aktivität verstärken können, die in dem Stadtteil durch einen sehr aktiven Stadtteil-Manager ohnehin gegeben war. Gerade heute wird die Studie veröffentlicht, die die Jakobs-University zu dem Thema aufgelegt hat, von der Bosch-Stiftung finanziert, wo eben auch nachvollziehbar gemacht wird, wie Bewegungen, die Entwicklungen in dem Stadtteil eben tatsächlich sind und eine Randnotiz noch in der Frage: Der jüngste Armutsbericht der Stadt Bremen weist unseren Stadtteil Osterholz-Tenever zum ersten Mal seit vielen Jahren nicht mehr als letzten Stadtteil aus sondern als vorletzten. Und das ist ein Riesenerfolg, der, da sind wir ganz bescheiden, am wenigsten mit uns zu tun hat, sondern mit der Aktivität der Bevölkerung, mit dem Engagement, mit der Initiative, die im Stadtteil entfacht worden ist und die haben wir ein Stück weit verstärken können. Darauf sind wir sehr stolz.

Koch: Kommen wir mal zu dem Kapitel Musik und Wirtschaft und vielleicht auch kurz zu Ihrer Person. Als Sie damals die Seiten gewechselt haben also vom Kontrabass ins Managementbüro, da haben Sie die Musiker aus dem Orchester auf Wirtschaftsseminare geschickt. Wieso das denn?

Albert Schmitt: Die Managementherausforderung in unserer Struktur liegt natürlich darin, dass am Ende alle entscheiden, d. h. die Vollversammlung aller Musiker entscheidet alle relevanten Fragen, sowohl künstlerischer als auch wirtschaftlicher Natur. Als ich das Orchester übernommen habe, befanden wir uns in einer dramatischen Überschuldungssituation. Ich hatte zwar Ideen, wie man das ändern konnte, wusste aber auch, wenn ich diese Ideen umsetzen will, brauche ich das backing meiner Leute. Ich muss sie mitnehmen. Und um sich entscheiden zu können, muss man sich qualifizieren. Das ist bei uns so wie überall sonst auch. Darum hab ich nach einfachen Mitteln und Wegen gesucht, um diese Qualifikation der Musiker anzuregen und habe damals Prof. Klaus Brandmeier, den Markenpapst in Deutschland, gebeten, doch mal für die Musiker ein Seminar zum Thema „Markenführung“ zu machen. Und das war ein großer Erfolg, weil Brandmeier eben ein hochkarätiger Fachmann aber auch ein genialer Entertainer ist. Er hat die Leute schlagartig erreicht, hat bewirkt, dass da was in Bewegung gekommen ist, und das war für mich die Basis, auf der ich dann arbeiten konnte. Also wir haben verschiedenste Kompetenzen aus dem wirtschaftlichen Bereich an uns herangezogen und durften davon profitieren.

Koch: Nicht nur, dass die Musiker von den Ideen der Wirtschaft profitieren, sondern auch Manager sollen von den Künstlern lernen. Das heißt, Sie geben Seminare für Manager. Was passiert denn da?

Albert Schmitt: Dieses Thema „Kultur – Wirtschaft“ ist ja im übrigen auch eine dieser Widerspruchspaare, eines dieser Sekunden. Und auch das ist charakteristisch für uns, dass wir eben nicht wie die herkömmlichen Kultureinrichtungen sagen „wir machen Kultur und der Staat oder das Theater oder wie auch immer der Intendant muss das Geld bringen“, sondern dass wir sagen, „wir wollen diese Spannung, das Spannungsfeld Kultur und Wirtschaft bestreiten“. Wir haben von der Wirtschaft sehr viel gelernt, am Anfang insbesondere ich, als es darum ging, das Orchester aus der Überschuldung herauszuführen, weil einer meiner Gedanken eben gewesen war, es konsequent als Unternehmen zu führen, zu sagen, die Musiker haften sowieso alle dafür, sind alle Gesellschafter, also muss man schauen, dass man auch unternehmerische Strukturen wählt. Alles andere wäre inkonsequent. Wir haben dann sehr viel durch Studium der wirtschaftlichen Gegebenheiten gelernt und auch bei uns umgesetzt und irgendwann kommt dann der naheliegende Gedanke, dass man sagt, Moment mal, also wenn das alles funktioniert, wenn man diese Dinge übernehmen kann, wenn die Kultur auch funktioniert, dann muss doch der umgekehrte Weg im Grunde auch gehen. Von dem Moment an habe ich dann konsequent angefangen, nach Themen zu suchen, die für die Wirtschaft relevant sein könnten. Wir haben uns dann sehr früh für das Thema Hochleistung entschieden, weil wir selber in diesem Hochleistungsbereich zu Hause sind und dieses Hochleistungsthema auch immer noch ein sehr mysteriöses Thema ist. Also es gibt keine wirklich einfachen Rezepte, wie man das erreicht und was man tun muss, um dahin zu kommen oder um diese Qualität zu erhalten. Deswegen habe ich Prof. Dr. Scholz aus reinen Forschungszwecken schon interessieren können, sich mit uns zu befassen. Ergebnis war, dass wir einen gemeinsamen Organisationsentwicklungsworkshop gemacht haben. Er hat uns da auf Herz und Nieren geprüft, hat so die Hochleistungsfähigkeit des Orchesters in Frage gestellt und dann über einen längeren Prozess schließlich doch konzedieren müssen. Das Ergebnis dieser Arbeit war dann das Fünf-Sekunden-Modell, dass diese Hochleistungsphilosophie in unserem Falle beschreibt.

Koch: Es handelt sich da nicht um Zeitintervalle sondern um Tonintervalle?

Albert Schmitt: Tonintervalle. Und es wird Sie jetzt nicht mehr furchtbar überraschen, wenn ich Ihnen sage, dass die Sekunde das widerspruchsstärkste Intervall in der Musik ist.

C und Cis?

Albert Schmitt: Ja, C und Cis, genau. Die zwei, die direkt nebeneinanderliegen. Das ist wie im richtigen Leben auch: am schönsten streitet man sich mit dem Nachbarn oder mit der Ehefrau. Also, da wo die größte Nähe ist, da ist auch das höchste Konfliktpotential. Das ist immer so und das ist in der Musik nicht anders. Die Sekunde beschreibt das einfach deswegen so wunderbar, weil, wenn ich die Cs und die Cis hintereinanderlege, dann krieg ich schöne Melodien wie „ Die Ode an die Freude“ von Beethoven oder „Yesterday“ von den Beatles. Es besteht weitgehend aus Sekundenabfolgen, mal eine Terz drin oder eine Quarte. Aber im Wesentlichen sind das Sekunden, die da hintereinander liegen.

Koch: Erklären Sie uns noch einmal in zwei Sätzen das Fünf-Sekunden-Modell.

Albert Schmitt: Das Fünf-Sekunden-Modell beschreibt erst mal die Widerspruchspaare, die für uns systembildend, systemimmanent sind und diese fünf Paare haben wir in fünf Trainingsmodule umgesetzt, d. h. wir vermitteln Unternehmen im Laufe eines Tages von morgens 9:30 Uhr bis abends 18:00 Uhr die fünf Sekunden anhand von fünf maßgeschneiderten, auch didaktisch aufbereiteten Modulen. Die Manager werden da, wo sie zuhause sind, d.h. das erste Sekundenmodul zum Thema Notwendigkeit und Sinn läuft sehr vertraut ab. Das ist eine Powerpoint-Präsentation von Scholz zum Thema Hochleistungsteams und von Schmitt zum Thema Deutsche Kammerphilharmonie, damit man sich da hineinfindet. Dann kommt die nächste Sekunde, die heißt dann Hierarchie und Demokratie. Da werden die Manager dann mitten ins Orchester gesetzt und das Orchester exerziert einmal einen Prozess, der für uns sehr charakteristisch ist, nämlich das Erarbeiten eines Musikstückes ohne Dirigenten. Wir haben das in der Organisationsentwicklung mit Scholz als Testfall für das Orchester damals probiert, in dem er die Musiker unter Druck gesetzt hat, indem er gesagt hat, „Ihr habt 20 Minuten Zeit, das ist das Stück“, das idealerweise niemand kennt. Es gibt keine Partitur, also der Masterplan fehlt. Es ist auch kein Dirigent da. Vielleicht fehlt auch die eine oder andere Stimme im Orchester. Alle Einzelstimmen liegen vor und die Aufgabe ist es, innerhalb von 20 Minuten das Stück aufführungsreif einzustudieren.

Koch: Und das machen die Manager dann auch, d. h. sie müssen ein Instrument spielen können, oder?

Albert Schmitt: Nein, überhaupt nicht. Es gibt überhaupt keine Vorbedingung für das Seminar. Sie sitzen im Orchester, spüren, fühlen, hören, sehen, wie dieser Prozess abläuft und reflektieren den dann auch.

Müssen sie denn auch dirigieren?

Albert Schmitt: Ja, das kommt dann im weiteren Verlauf. Das ist die Sekunde Energie und Konzentration. Da geht es darum, dass jeder Manager einmal ein achttaktiges musikalisches Werk dirigiert, um mittels dieser Erfahrung zu lernen, wie er seine innere Vorstellung übertragen kann auf eine Gruppe, die ihm ausgesetzt ist. Das heißt, die Musiker spielen tatsächlich das, was er dirigiert. Das ist teilweise sehr lustig, aber richtig verheerend ist es nicht.

Koch: Dann machen die Manager nun zusammen mit dem Orchester und Ihnen diese Seminare. Was haben die dann davon?

Albert Schmitt: Die Manager lernen sehr viel über das Phänomen Hochleistung. Es gibt dann auch noch einen theoretischen Teil, da geht es um Betriebswirtschaft. Und vor diesem Hintergrund reflektieren die Manager ihre eigene unternehmerische Situation und gleichen das auch ab, gleichen ab:
was haben wir hier heute erlebt,
was kommt uns bekannt vor,
was kam uns nicht so bekannt vor,
wo hat das mit unseren Problemen zu tun,
inwieweit stecken da neue Lösungsansätze drin
Die Teams, die wir hier hatten, sind bislang ausnahmslos sehr begeistert und stark bereichert nach Hause gegangen. Für mich ist das Kriterium für den Erfolg übrigens nicht die Begeisterung. Für mich ist das Kriterium für den Erfolg die Wiederbuchung. In dem Moment, wo das Unternehmen zurückkommt und sagt, wir haben hiermit eine substantielle Verbesserung , Potentiale bis hin zum wirtschaftlichen Ergebnis erreicht und wir möchten jetzt, dass dieses oder jenes Team auch noch bei Euch vorbeikommt und das auch verinnerlicht. Das ist für mich der Maßstab dafür, dass wir mit diesem Produkt erfolgreich sind.

Koch: Sollten Manager künstlerisch denken können?

Albert Schmitt: Ja und nein. Es gibt dafür viele Negativbeispiele. Es gibt die Beispiele des Speditionsunternehmens, dessen Chef großen Wert darauf gelegt hat, dass jeder Mitarbeiter sich mit Goethes Werken auseinandersetzt. Die sind dann irgendwann furchtbar in die Krise geschlittert. Das wird dann natürlich auch daran festgemacht. Man kann das so pauschal nicht sagen. Entscheidender ist eigentlich, dass in der künstlerischen Betrachtungsweise Potentiale liegen, die für Wirtschaftsunternehmen nutzbar sein können. Und die muss man sehr klug und sehr gezielt fördern, dann kann ein Unternehmen in hohem Maße davon profitieren und unter Umständen eben auf diese Weise auch Potentiale entdecken, die ohne die Befassung mit dem künstlerischen Bereich nicht förderbar gewesen wären, weil diese nonverbale und emotionale Qualität der Musik die irrationalen Aspekte anders anspricht und damit auch Kreativität und Innovationsfähigkeit anders befördern kann.

Koch: Ein wichtiges Schlagwort beim Symposium in Dortmund war das nonlineare Denken, also ein Denkprozess, der die gewohnten Strukturen verlässt, und beispielsweise Versuch und Irrtum oder auch Spannungen zulässt, wie in Ihrem Fünf-Sekunden-Modell. Sind auch Sie auf nonlineares Denken angewiesen?

Albert Schmitt: Auf jeden Fall. In der Musik sowieso. Musik funktioniert nicht linear. Wir haben vieles ausprobiert in unserer Vergangenheit. Wir haben auch immer mal versucht, Musik und Computer zusammenzubringen. Und das hat ganz klare Grenzen. Der richtige Kracher war nicht dabei. Weil man irgendwie feststellt, diese Linearität, dieses Null und Eins Denken, das haut in der Musik nicht hin. Musik ist komplexer, Musik ist irrationaler und diese Irrationalität ist die Matrix für Innovation und Kreativität. Und darum ist ja auch das Interesse der Wirtschaft zunehmend am Kulturellen sehr nachvollziehbar.

Koch: Wir würden Sie denn abschließend Ihre Tätigkeit beschreiben? Was machen Sie als Manager dieses Orchesters? Machen Sie Kunst, Wirtschaft oder gar Wissenschaft?

Albert Schmitt: Ich betrachte meine Aufgabe als eine ganzheitliche Aufgabe und alles, was Sie gerade beschrieben haben, gehört dazu. Im Wesentlichen geht es darum, das Ganze durch einen speziellen Filter zu betrachten. Also man kann auf das große Ganze durch den musikalischen Filter schauen, man kann auch durch den wirtschaftlichen Filter draufschauen. Aber die Ressourcen, auf die man blickt, sind im Grunde immer dieselben und Wirtschaft und Wissenschaft und Kultur sind verschiedene Ausprägungen. Darum ist man einfach gut beraten, wenn man auch in den anderen Bereichen gezielt nach Verbindungen sucht und Anregungen aufnimmt und sich bereichern lässt.

Videomitschnitt des Vortrags von Albert Schmitt im Rahmen des Symposiums Kunst fördert Wirtschaft vom 22.11.2010:

Das 5-Sekunden-Modell in Musik und Wirtschaft

Screenshot 2023-03-24 at 21-17-42 Albert Schmitt „DAS 5-SEKUNDEN-MODELL IN MUSIK UND WIRTSCHAFT“ Kunst fördert Wirtschaft IDfactory

Konkrete Erkenntnisse aus dem Transfer von Musik und Management präsentieren Musiker Albert Schmitt und Manager Jean-Claude Leclère, die mit der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen das preisgekrönte „5-Sekunden-Modell“  für Hochleistungsteams entwickelt haben. 


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